Plötzlich Titelkandidat
Jahrelang erlebte Nico Sturm bei den San Jose Sharks eine Enttäuschung nach der anderen. Bis kurz vor der Trade-Deadline der Anruf kam, der alles veränderte. Weil er jetzt für die Florida Panthers spielt, hat Sturm nun beste Chancen, den zweiten Stanley Cup seiner Karriere zu gewinnen.

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Ende Februar saßen Harold Kreis und Christian Künast in Ottawa beim Abendessen. Der Bundestrainer und der DEB-Sportdirektor waren auf ihrer jährlichen Nordamerika- und Kanadareise, um die deutschen NHL-Spieler zu treffen. Und um dabei abzuklopfen, wer bereit wäre, im Mai mit zur Weltmeisterschaft nach Dänemark und Schweden zu kommen. Da passte der Halt in Ottawa wunderbar in den Plan, am nächsten Abend würden die Senators die San Jose Sharks empfangen. Kreis und Künast konnten also mit gleich zwei Nationalspielern essen gehen, mit Tim Stützle und Nico Sturm. Ein „sehr netter Abend“ sei das gewesen, sagte Kreis hinterher. Zumal er grundsätzlich gute Nachrichten bekam. Beide würden die WM gern spielen.
Es gibt da aber natürlich ein altes Problem: NHL-Spieler haben nur dann Zeit für die WM, wenn sie nicht in den Playoffs gefragt sind. Was bei Stützle schon mal schlecht aussieht, Ottawa spielt seine beste Saison seit Jahren, ist drauf und dran, die Endrunde zu erreichen. Anders San Jose, das mal wieder ganz unten in der Tabelle steht. Aber Sturm musste seine WM-Zusage trotzdem mit einer Fußnote versehen. „Nico hat uns gewarnt: Es kann sein, dass ich getradet werde“, berichtete Kreis ein paar Tage später. Und so war es in der Zwischenzeit auch gekommen. Kurz nach der Rückkehr der DEB-Delegation stand auf der NHL-Homepage: „Florida Panthers Acquire Forward Nico Sturm“. Und die Panthers sind nun wahrlich kein Team, das zuletzt für kurze Playoffs bekannt war. Die WM wird also ziemlich sicher ohne den 29-Jährigen stattfinden.
Harold Kreis hat sich trotzdem gefreut. „Für Nico“, wie er sagt. „Er ist ein so solider Mensch und ein so solider Typ, er hat sich alles über harte Arbeit, Commitment und Disziplin erarbeitet. Es freut mich für Nico, dass er jetzt die Chance hat, einen zweiten Stanley-Cup-Ring zu gewinnen.“ Die hat er in der Tat. Eben noch spielte Sturm beim Tabellenletzten, ging fast jeden Abend als Verlierer vom Eis. Doch einen Anruf später steht er im Kader des Titelverteidigers und Mitfavoriten.
Nico Sturm hat sich ebenfalls darüber gefreut. Das war ihm anzusehen, als er Ende März in eine kleine Kamera schaute und mit Journalisten aus der alten Heimat sprach. Reden kann er ja wie kaum ein anderer in der Branche. Offen, zugewandt, reflektiert. Was vielleicht auch an seinem besonderen Werdegang liegt. Sturm war kein Jungstar, der früh umgarnt wurde. Ihm flog auch nichts zu, anfangs rechnete nicht mal er selbst mit der Profikarriere, wurde erst mit 24 Jahren richtig für seinen Sport bezahlt. Vielleicht weiß er das Privileg, in der NHL zu spielen, deswegen etwas mehr zu schätzen als andere, für die das immer der logische Weg zu sein schien.
Sturm hingegen kam über Umwege zu seinem Job. Und so sehr er sich nun freut, in Florida zu spielen, ein schlechtes Wort verliert er nicht über seine ehemaligen Kollegen bei den Sharks. Sie hätten „immer eine gute Kabine“ gehabt, sagt Sturm, der aber dennoch weit davon entfernt ist, seine Zeit in Kalifornien zu verklären. Dafür war es sportlich zu schlecht: „Es ist schwer, am nächsten Tag zum Training zu kommen, wenn du fünf, sechs, sieben Mal in Folge verlierst.“ Da habe man „das Gefühl, sich nicht fortzubewegen“. Gerade für einen Spielertypen wie ihn: „In meiner Rolle ist der Lohn für meine Arbeit, dass die Mannschaft gewinnt. Mein Lohn sind nicht Tore und Assists. Aber ich kann noch so gut Unterzahl spielen, Bullys gewinnen und hart spielen, wenn wir im Fünf-gegen-Fünf fünf oder sechs Tore kassieren, ist der Lohn für meine Arbeit nicht da.“
Knapp drei Jahre lang ging das so. Drei Jahre lang war der Augsburger in Kalifornien, sein erster ganz großer NHL-Vertrag war das: sechs Millionen US-Dollar für drei Jahre. Aber sportlich klappte eben kaum etwas, die Playoffs waren jedes Mal meilenweit entfernt. Es wurde gar von Jahr zu Jahr schlechter. In Sturms erster Saison wurden die Sharks immerhin noch Sechster der Pacific Division, dann Siebter, nun abgeschlagen Letzter.
Ganz überraschend kam das natürlich nicht, Sturm wusste im Sommer 2022, worauf er sich einlässt. Auf ein Team im Umbruch mit vielen jungen Spielern, für die er mit seiner Arbeitseinstellung ein Vorbild sein sollte. Das klappte zwar, aber eben nicht mehr. Diese Saison war es eigentlich schon Ende Oktober vorbei. San Jose startete mit elf Niederlagen am Stück, hätte fast einen Negativrekord in der mehr als 100-jährigen NHL-Geschichte aufgestellt. Seitdem ging es um nichts mehr. Aber es waren eben noch fast sechs Monate Hauptrunde übrig. Da ist es nicht einfach, sich jeden Tag neu zu motivieren.
Jetzt sei das endlich wieder anders. In Florida erlebe er ein „anderes Arbeitsumfeld“, eine „kompetitive Umgebung“, sagt Sturm. Das kennt er aus der Saison 2021/22, als er schon mal zur Trade-Deadline von einem Team zum anderen geschickt wurde. Damals von den Minnesota Wild zu den Colorado Avalanche. Ein paar Wochen später stand sein Name auf dem Stanley Cup. Weil in Denver eben die Voraussetzungen stimmten: „Nach jedem Training bin ich rausgegangen und hatte das Gefühl, ich bin besser geworden, weil ich mit Leuten wie MacKinnon und Makar auf dem Eis war. Weil die dich einfach jeden Tag pushen. Die haben einen gewissen Standard für sich und ihre Mitspieler.“ So sei das jetzt auch in Florida mit Stars wie Aleksander Barkov, Matthew Tkachuk oder Sam Reinhart, „da ist eine andere Erwartungshaltung, und das macht dich einfach besser“.